Mindestlöhne

In Deutschland existiert kein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn. Zwingende Mindestlöhne können in bestimmten Branchen festgesetzt werden. Es gibt zwei Möglichkeiten, wie solche branchenbezogenen Mindestlöhne festgesetzt werden können:

  • Für die im Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) aufgeführten Branchen können Tarifverträge nach dem AEntG auf alle in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Branche erstreckt werden. Eine Sonderregelung sieht das AEntG für die Pflegebranche vor. Hier knüpft der Verordnungsgeber zur Festsetzung von Mindestlöhnen nicht an einen Tarifvertrag, sondern an den Vorschlag einer sich aus Vertretern der Branche zusammensetzenden Kommission an.
  • Durch Rechtsverordnung können für Wirtschaftszweige mit einer geringen Tarifbindung Mindestlöhne nach dem Mindestarbeitsbedingungengesetz (MiArbG) festgelegt werden.

I. Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG)

Unternehmen sind in Deutschland grundsätzlich nur verpflichtet, ihren Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen Tariflöhne zu zahlen, wenn sie sich an Tarifverträge gebunden haben. In Branchen, die in das AEntG aufgenommen worden sind, können ausländische und inländische Unternehmen zur Zahlung bestimmter tarifvertraglicher Löhne verpflichtet werden. Das Gesetz gibt dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) oder in bestimmten Fällen der Bundesregierung die Befugnis, einen Tarifvertrag, in dem sich die Tarifvertragsparteien auf Mindestlöhne geeinigt haben, durch Rechtsverordnung für allgemeinverbindlich erklären. Dazu ist ein mehrstufiges Verfahren mit Anhörungsrechten der Betroffenen durchzuführen, im Rahmen dessen der Verordnungsgeber unter anderem prüft, ob ein öffentliches Interesse für den Erlass einer Rechtsverordnung vorliegt. Wird in einer neu aufgenommenen Branche erstmals ein Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags gestellt, ist außerdem der Tarifausschuss, der sich aus Vertretern der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammensetzt, zu beteiligen.

Ist ein Tarifvertrag nach dem AEntG allgemeinverbindlich, so ist er von einem Arbeitgeber auch dann einzuhalten, wenn er an keinen oder an einen anderen Tarifvertrag gebunden ist. Der Tarifvertrag mit den festgesetzten Mindestlöhnen gilt gleichermaßen für deutsche wie für ausländische Unternehmen und für deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in Deutschland tätig sind. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben einen Anspruch darauf, dass ihnen die festgesetzten Mindestlöhne gezahlt werden. Dieser Anspruch besteht auch nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses weiter, er verjährt grundsätzlich drei Jahre nach dem Ende des Jahres, in dem er entstanden ist. Die Frist für die Geltendmachung des Anspruchs („Ausschlussfrist“) darf nur in dem Tarifvertrag, in dem der Mindestlohnanspruch geregelt wird, verkürzt werden und muss mindestens sechs Monate betragen.

Für die Branche der Altenpflege und häuslichen Krankenpflege (Pflegebranche) wird mit dem neugefassten AEntG ein gesondertes Verfahren geschaffen. Auch für die Pflegebranche besteht künftig die Möglichkeit, Mindestlöhne festzusetzen. Die Mindestlöhne werden von einer Kommission vorgeschlagen. Mit der Möglichkeit der Errichtung einer solchen Kommission trägt das Gesetz den Besonderheiten in der Pflegebranche umfassend Rechnung. Pflegedienste werden in erheblichem Umfang von kirchlich getragenen Einrichtungen erbracht, die aufgrund des kirchlichen Selbstverständnisses keine Tarifverträge ab. Sie wenden aber Arbeitsbedingungen an, die auf anderem Wege kollektiv ausgehandelt wurden. Außerdem werden Pflegedienste von solchen öffentlich- rechtlichen und privat-rechtlichen Trägern erbracht, die – teilweise jeweils für ihren geschlossenen Bereich – Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge gestaltet haben.

Neun Branchen sind in den Schutz des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes aufgenommen:

  • Bauhaupt- und Baunebengewerbe
  • Gebäudereinigung
  • Briefdienstleistungen
  • Sicherheitsdienstleistungen
  • Bergbauspezialarbeiten auf Steinkohlebergwerken
  • Wäschereidienstleistungen im Objektkundengeschäft
  • Abfallwirtschaft einschließlich Straßenreinigung und Winterdienst
  • Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem Zweiten oder Dritten Buch Sozialgesetzbuch
  • Pflegebranche (Altenpflege und ambulante Krankenpflege).

II. Mindestarbeitsbedingungengesetz (MiArbG)

Es gibt zunehmend Wirtschaftszweige, in denen es entweder keine Tarifverträge gibt oder eine Tarifbindung nur für eine Minderheit der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber besteht. Deshalb hat der Gesetzgeber 2009 das Mindestarbeitsbedingungengesetz von 1952 modernisiert und zur Festsetzung von Mindestlöhnen tauglich gemacht. Das MiArbG gilt für die Wirtschaftszweige, in denen die tarifgebundenen Arbeitgeber weniger als 50 Prozent der unter dem Geltungsbereich aller Tarifverträge fallenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigen.

Während im AEntG in der Regel auf eine tarifvertragliche Lohngestaltung zurückgegriffen wird, setzt der Verordnungsgeber im MiArbG Mindestlöhne auf der Grundlage der Beschlüsse von Expertenausschüssen fest.

Ein dauerhaft einzurichtender Hauptausschuss prüft, ob in einem Wirtschaftszweig soziale Verwerfungen vorliegen und Mindestarbeitsentgelte festgesetzt werden müssen. Die Bundesregierung beruft den Vorsitzenden und die weiteren sechs Mitglieder. Das Vorschlagsrecht für den Vorsitzenden und zwei weitere Mitglieder erhält das Bundesarbeitsministerium (BMAS). Die Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer können je zwei Mitglieder vorschlagen. Gleiches gilt für die jeweiligen Stellvertreter. Der Hauptausschuss wird als ständiges Gremium eingerichtet und fasst seine Beschlüsse mit einfacher Mehrheit.

Die Bundesregierung, die Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer und die Landesregierungen können dem Hauptausschuss Vorschläge für die Festsetzung, Änderung oder Aufhebung von Mindestlöhnen machen. Der Beschluss des Hauptausschusses bedarf der Zustimmung des BMAS.

Ein Fachausschuss wird jeweils für den betroffenen Wirtschaftszweig gebildet, für den Mindestlöhne festgesetzt werden sollen. Er legt fest, wie hoch die Mindestlöhne im konkreten Fall sein sollen. Die Fachausschüsse bestehen aus einem Vorsitzenden und sechs Beisitzern aus den Kreisen der beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Bundesregierung beruft auf Vorschlag des BMAS geeignete Personen als Beisitzer in den Fachausschuss, die ihrerseits von den Gewerkschaften und Vereinigungen der Arbeitgeber vorgeschlagen werden. Der Vorsitzende wird auf Vorschlag des BMAS durch die Bundesregierung berufen. Die Fachausschüsse beschließen mit einfacher Mehrheit über die Mindestlöhne, die in einem Wirtschaftszweig gelten sollen.

Der Fachausschuss prüft bei der Festlegung von Mindestlöhnen in einem Wirtschaftszweig, ob diese insbesondere geeignet sind

• angemessene Arbeitsbedingungen zu schaffen,

• faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten,

• sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu erhalten.

Die von einem Fachausschuss in einem schriftlichen Beschluss vorgeschlagenen Mindestlöhne können auf Vorschlag des BMAS durch Rechtsverordnung der Bundesregierung festgesetzt werden.

Die festgesetzten Mindestlöhne sind grundsätzlich für alle im jeweiligen Wirtschaftszweig in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigten in- und ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zwingend. Das gilt unabhängig davon, ob ein Arbeitgeber seinen Sitz im In- oder Ausland hat. Eine Übergangsregelung trägt den Belangen der Tarifvertragsparteien Rechnung und bestimmt, dass ein bereits vor dem 16. Juli 2008 abgeschlossener Tarifvertrag sowie dessen Folgetarifvertrag für die Zeit ihres Bestehens der Mindestlohn-Verordnung vorgehen.