Krankheit
Es wird gesetzlich nicht definiert, wann ein Arbeitnehmer krank ist. Man täte sich im Bundestag auch schwer, dieses angesichts der medizinischen Entwicklung abschliessend zu tun. Arbeitsrechtlich ist eine Erkrankung aber auch irrelevant; das wird manchen überraschen. Solange die Erkrankung dem Arbeitnehmer die Arbeitsleistung nicht objektiv oder subjektiv unmöglich oder unzumutbar macht, hat sie keinen Einfluss auf das Arbeitsverhältnis.
Im Arbeitsleben entscheidend ist die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers und damit meint man etwas Genaueres. Krankheit ist nur ein regelwidriger Geistes- oder Körperzustand. Arbeitsunfähigkeit ist gegeben, wenn die Krankheit es dem Arbeitnehmer unmöglich macht, die nach seinem Arbeitsvertrag geschuldete Leistung zu erbringen oder wenn bei Fortsetzung der Arbeit die Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand in naher, absehbarer Zukunft verschlechtert.
Arbeitsunfähig zu sein bedeutet nicht, dass der kranke Arbeitnehmer leidend daheim bleiben muss. Es gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer nur zu Diagnosezwecken von der Arbeit fernbleiben soll. Das Gleiche gilt für Rehabiltitationsmassnahmen, Kuren oder Rekonvaleszenzphasen. Arbeitsunfähigkeit ist auch gegeben, wenn der Arbeitnehmer wegen eines Defektes eines technischen Hilfsmittels (Zahnprothese, Brille, Beinprothese) an der Erbringung seiner spezifischen Arbeitsleistung gehindert ist. Entscheidend ist nur, dass er die Arbeitsunfähigkeit mit einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachweist. Diese sind allerdings verbindlich und haben einen fast unangreifbaren Beweiswert für das tatsächliche Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit. Im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung bestehen Arbeitsunfähigkeitsrichtlinien, die vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen beschlossen worden sind. Erst wenn der Arbeitnehmer in seiner Freizeit Tätigkeiten ausübt, die objektiv physisch belastender sind, als es die Anforderungen am Arbeitsplatz wären (Beispiele: privater Hausbau, nächtliche Discobesuche, Ligafussball), begeht er einen Vertragsverstoss und kann abgemahnt werden oder seinen Lohnfortzahlungsanspruch verlieren. Der kranke Arbeitnehmer kann also beim Einkaufen, im Schwimmbad oder im Kino gesehen werden, ohne dass dieses seinem Fehlen am Arbeitsplatz zwingend widerspräche.
Ohne Weiteres ist keine Arbeitsunfähigkeit gegeben, wenn der Arbeitnehmer wegen einer Fussverletzung krank ist, aber eine sitzende Tätigkeit ausübt. Falls der Arbeitgeber Zweifel an der Einschätzung des Arztes hat, kann er den medizinischen Dienst der Krankenkassen zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit anrufen.
Schwierig wird die Sache, wenn der Arbeitnehmer zwar schwer krank, aber nicht arbeitsunfähig ist. Typischerweise ist das bei Suchterkrankungen der Fall. Alkoholismus u.ä. gilt als Krankheit. Im Betrieb merken die Kollegen und Vorgesetzten zwar deutlich, dass der Mitarbeiter die von ihm geschuldeten Arbeiten nicht mehr oder nur mit Störungen erbringt (Zuspätkommen, unentschuldigtes Fehlen, grob fehlerhafte Leistungen), aber der Kranke verspürt keinen Leidensdruck und geht nicht zum Arzt oder berichtet dort falsch und wird unzutreffend behandelt. In diesen Fällen übernimmt der Arbeitgeber ein weiteres Risiko. Er kann den kranken Arbeitnehmer nur wegen seiner Leistungsstörungen abmahnen und bei hinreichenden Wiederholungsfällen verhaltensbedingt, aber nicht krankheitsbedingt kündigen. Stellt sich im Rahmen eines vom Gekündigten angestrengten Kündigungschutzrechtsstreites heraus, dass die Vertragstörungen krankheitsbedingt und deswegen unverschuldet waren, muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer weiterbeschäftigen und zumindest eine Therapie abwarten. Erst wenn es nach der Therapie zu weiteren Leistungsstörungen kommt, und die Prognose für die Zusammenarbeit wieder negativ wird, könnte der Arbeitgeber erneut krankheitsbedingt kündigen.