Freistellung

Ein Arbeitsvertrag besteht aus einer Vielzahl von Verpflichtungen. Die Hauptleistungspflicht des Arbeitgebers ist es, den Lohn zu zahlen und die Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers ist es, die Arbeitsleistung zu erbringen. Parallel dazu läuft eine Vielzahl von Nebenpflichten. Der Arbeitgeber hat Fürsorgepflichten und beispielsweise für eine Gleichbehandlung der Arbeitnehmer und für Arbeitssicherheit zu sorgen. Der Arbeitnehmer hat Treuepflichten und darf beispielsweise während der Dauer des Arbeitsverhältnisses keine Konkurrenz machen und bei einem Wettbewerber des Arbeitgebers tätig sein. Über diese Hauptleistungs- oder Nebenpflichten können sich die Parteien aber auch getrennt einigen und auf die Erfüllung einzelner Pflichten verzichten, ohne dass es zur Beendigung des Vertrages kommt.

Bei einer Freistellung verzichtet die eine Partei auf die Verpflichtung der anderen Partei zur Erbringung von deren vertragsgemäßen Leistung, bleibt aber verpflichtet, voll umfänglich ihre eigene Leistung zu erbringen. Sie „stellt“ den Anderen einseitig von seiner Verpflichtung „frei“. Das klassische Beispiel ist die Freistellung des Arbeitnehmers von seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung; in diesem Fall bleibt der Arbeitgeber verpflichtet, den Lohn zu zahlen, obwohl der Arbeitnehmer von seiner Arbeitsleistung entbunden wurde. Sehr häufig ist das nach Kündigungen der Fall. Viele Arbeitgeber legen danach keinen Wert mehr darauf, dass der möglicherweise unmotivierte Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist noch für sie tätig ist, gar noch kontraproduktiv. Seltener ist es, dass Arbeitnehmer ihre Arbeitgeber von seiner Verpflichtung zur Lohnzahlung freistellen. Dieses geschieht aber, wenn Arbeitnehmer in Krisensituationen zusätzliche Arbeitsleistung erbringen, ohne vom Arbeitgeber für die Mehrarbeit Lohn zu verlangen.

Wenn beide Seiten gegenseitig auf die Erfüllung aller Verpflichtungen verzichten, spricht man von der Suspendierung eines Arbeitsvertrages. Das Arbeitsverhältnis ruht. Bei einer Teilsuspendierung ruht das Arbeitsverhältnis bezüglich einer Nebenpflicht. Klassische Fälle von gesetzlicher Suspendierung sind die Elternzeit und mutterschutzrechtliche Beschäftigungsverbote wegen Schwangerschaft und Stillzeit; selbstverständlich bleiben Gleichbehandlungspflichten für den Arbeitgeber und Treuepflichten für den Arbeitnehmer trotzdem während der Suspendierungsphase bestehen.

Unter Juristen zur Zeit heftig umstritten ist es, ob der Arbeitgeber sich im Arbeitsvertrag die Freistellung des Arbeitnehmers, beispielsweise für die Dauer einer Kündigungsfrist, vorbehalten darf. Obwohl viele Arbeitnehmer mit dieser Regelung sicherlich einverstanden wären, liegt die Arbeitsethik des Bundesarbeitsgerichts dazu quer. Es ist der Ansicht, dass aus den Grundrechten des Grundgesetzes ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Beschäftigung folge, den der Arbeitgeber nicht einseitig verändern könne. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers sehr ausführlich in einem sehr grundsätzlichen Urteil vom 27.02.1985 begründet. Nunmehr hat auch das Arbeitsgericht Frankfurt in einem Urteil vom 19.11.2003 eine arbeitsvertragliche Freistellungsklausel für unwirksam gehalten, da sie den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt. Wesentliche Rechte und Pflichten, die sich aus der Natur des Arbeitsvertrages ergeben, werden nach Ansicht des Arbeitsgerichts Frankfurt so eingeschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet sei, wenn sich der Arbeitgeber sich einseitig ein Freistellungsrecht vorbehalte. Das Landesarbeitsgericht München hat im Urteil vom 07.05.2005 judiziert, Freistellungsklauseln in vorformulierten Vertragsbedingungen unterlägen der richterlichen Inhaltskontrolle. Bei dieser Angemessenheitskontrolle von Freistellungsklauseln müsse der allgemeine Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers als Leitbild berücksichtigt werden und vom Gericht ein genereller Prüfungsmaßstab angelegt werden, nach dem einschränkungslose Freistellungsklauseln unwirksam seien. Eine Ausnahme bestehe lediglich, wenn die Ausübung des Freistellungsrechts ausnahmsweise der Billigkeit entspreche. Auch das Arbeitsgericht Berlin ist in seiner Entscheidung vom 04.02.2005 der Ansicht, eine in einem vom Arbeitgeber gestellten Arbeitsvertragsformular enthaltene Freistellungsklausel, nach der der Arbeitgeber berechtigt sei, bei einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses den Arbeitnehmer unter Fortzahlung seiner Bezüge bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses von seiner Arbeitsleistung freizusprechen, sei in der Regel eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers. Es ist damit zu rechnen, dass sich dieser Trend in der Rechtsprechung fortsetzt. Allgemeine Freistellungsvorbehalte in Arbeitsverträgen werden Arbeitgeber sich wohl zukünftig nur erlauben können, wenn zugleich die besonderen Voraussetzungen dazu genau definiert werden. Eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts steht noch aus.

Bei einer einseitigen Freistellung des Arbeitnehmers von seiner Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung wird man also sehr genau auf den Einzelfall zu achten haben, ob der Arbeitgeber überwiegende Interessen geltend machen kann, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen. Ohne eine abgewogene Betrachtung unter Zuhilfenahme eines mit der aktuellen Rechtsprechung vertrauten Juristen ist es Arbeitgebern abzuraten, auf einer Freistellung des Arbeitnehmers zu bestehen. In der Regel dürfte aber der Arbeitnehmer sowieso einverstanden sein.

Ganz wichtig ist es, bei einer Freistellungsvereinbarung an die sozialrechtlichen Folgen zu denken. Nach Ansicht des Bundessozialgerichts in einem Urteil vom 25.04.2002 beginnt die Sperrzeit wegen des Bezuges von Arbeitslosengeld bereits mit dem ersten Tag der Freistellung, weil der Arbeitnehmer mit der Vereinbarung der Freistellung bereits von da an seine Beschäftigungslosigkeit verursacht habe. Während der Zeit der Freistellung ruhe außerdem der Anspruch des Arbeitnehmers auf Bezug von Arbeitslosengeld, denn er habe während dieses Zeitraums noch den Anspruch auf Arbeitsentgelt vom Arbeitgeber. Insgesamt verkürzt sich für den Arbeitnehmer daher der Bezugszeitraum von Arbeitslosengeld erheblich, sowohl um die Sperrzeit wegen mutwilliger Arbeitsaufgabe als auch um den Freistellungszeitraum. Unangenehm wurde die Vereinbarung einer Freistellung für den Arbeitgeber in einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 10.02.2004. Eine unbedachte Vertragsgestaltung hatte für den Arbeitgeber zur Folge, dass er vom Bundesarbeitsgericht verpflichtet wurde, dem Arbeitnehmer den Schaden zu ersetzen, den dieser dadurch erlitten hatte, dass seine vorzeitige Inanspruchnahme von Rente nicht möglich war. Die Parteien hatten einen Altersteilzeitvertrag geschlossen und im Rahmen dieses Vertrages wurde der Arbeitnehmer mit sofortiger Wirkung von seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt. Der Arbeitgeber zahlte für den freigestellten Arbeitnehmer nach den Vorschriften des Altersteilzeitgesetzes zwar die vorgesehene Vergütung einschließlich der Erhöhungsbeiträge, als der Arbeitnehmer aber von der Möglichkeit des vorzeitigen Bezuges von Altersrente nach der Altersteilzeit Gebrauch machen wollte, wies der Rentenversicherungsträger seinen Antrag ab. Nach Ansicht des Rentenversicherungsträgers lasse sich vorzeitige Altersrente nach einer Altersteilzeit nur beanspruchen, wenn die nur hälftige Reduzierung der Arbeitszeit vorliege und nicht eine Vollreduzierung durch die Freistellung des vom Arbeitnehmer während der Altersteilzeit zum Teil noch geschuldeten Arbeitseinsatzes.

Unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen hat der Arbeitnehmer allerdings einen Anspruch auf Freistellung von seiner Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung. Das ist insbesondere der Fall, wenn er aus persönlichen Gründen ohne Verschulden an seiner Dienstleistung verhindert wird (§ 616 BGB). Bei einer Erkrankung des Kindes haben Arbeitnehmer für eine gewisse Dauer gegen ihren Arbeitgeber den Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung (§ 45 SGB V). Nach der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber ebenfalls den Anspruch auf angemessene Freistellung zur Bewerbung (§ 629 BGB).

Möglich ist es, bei einer Freistellungsvereinbarung dieses unter Anrechnung der Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers zu tun. Wird dieses jedoch nicht ausdrücklich vereinbart, so erfolgt im Zweifel keine Anrechnung der Arbeitsbefreiung des Arbeitnehmers durch die Freistellung auf seinen Urlaub.