Koalitionsvertrag Schwarz/Gelb
Am 24.10.2009 haben CDU, CSU und FDP ihren Koalitionsvertrag für die neue Legislaturperiode vorgestellt. Die kommende Bundesregierung sieht zahlreiche Änderungsvorhaben im Bereich der Arbeitsverhältnisse vor.
I. Änderungen im Arbeitsrecht
1. Änderungen im Befristungsrecht
Das sog. Anschlussverbot im Bereich der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen soll nur noch eingeschränkt gelten. Bisher war eine solche Befristung des Arbeitsvertrages nur bei einer erstmaligen Einstellung wirksam. Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass auch dann ein Arbeitsverhältnis ohne Sachgrund befristet werden kann, wenn zuvor schon einmal mit demselben Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis bestand. Allerdings ist eine Wartezeit von einem Jahr vorgesehen. Danach wäre eine erneute sachgrundlose Befristung möglich. Die Befristung aus einem sachlich anerkennenswerten Grund geht hingegen immer.
2. Mindestlohndebatte
Die Koalitionsparteien wenden sich gegen die Einführung eines branchenübergreifenden gesetzlichen Mindestlohnes wie in den meisten europäischen Ländern. Die bestehenden Mindestlöhne werden evaluiert. Die Tarifautonomie zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern soll vor einer staatlich vorgeschriebenen Lohnfindung wirken. Für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung (AVE) von Tarifverträgen soll aber zukünftig ein Beschluss des Kabinetts erforderlich sein; bisher hatte der Bundesarbeitsminister die Alleinkompetenz. Der Bundesminister für Arbeit kann aber in den Branchen des Arbeitnehmerentsenderechts faktisch das Arbeitsentgelt für einen bestimmten Geltungsbereich festlegen, und zwar unabhängig von den allgmein engeren Voraussetzungen (§ 5 TVG). Für dieses Verfahren soll aber jedem Bundesminister ein Veto-Recht zustehen. Darüber hinaus wurden die Voraussetzungen bzgl. des Tarifausschusses verschärft: Hier soll ein Mehrheitsvotum erforderlich sein.
Dagegen will die Koalition das Begriffsmerkmal der Sittenwidrigkeit von zu niedrigen Löhnen genauer fassen. Um sittenwidrige Löhne zu unterbinden, soll ein gesetzliches Verbot solcher Löhne geschaffen werden. Löhne sollen demnach sittenwidrig sein, wenn sie um ein Drittel unter dem branchenüblichen Lohnniveau liegen. Tatsächlich existiert bereits ein solches Verbot in Form von § 138 BGB, welches in der Rechtsprechung genau erfasst und von arbeitsrechtlichen Fachliteratur bisher als hinreichend angesehen wurde.
3. Arbeitnehmerdatenschutz
Der scheidende Bundesarbeitsminister Scholz hatte sich noch für ein eigenständiges Arbeitnehmer-Datenschutzgesetz engagiert. Auch die neue Koalition plant die schon lange für erforderlich gehaltenen speziellen Regelungen im Bereich des Arbeitnehmerdatenschutzes. Die Regelungen sollen aber in einem eigenen Kapitel im Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) untergebracht werden. Der Datenschutz der Arbeitnehmer soll auf die Erforderlichkeit der Datenerhebung im Arbeitsverhältnis beschränkt werden..
4. Geringfügige Beschäftigung
Die Koalitionspartner wollen die Anreize zur Aufnahme einer Beschäftigung durch Mini- und Midi-Jobs stärken (Brückenfunktion) und erwägen die Erhöhung der Grenze sozialversicherungsfreier Beschäftigung.
5. Besondere Gruppe von Arbeitnehmern
a) Ältere Arbeitnehmer
Staatliche Anreize zur faktischen Frühverrentung sollen abgebaut werden. Die Förderung der Bundesagentur für Arbeit für Altersteilzeit soll über den 31.12.2009 hinaus nicht verlängert werden.
Die Teilnahme älterer Arbeitnehmer an Bildung und Weiterbildung soll gefördert werden. Die Bedingungen für eine längere Teilnahme Älterer am Arbeitsleben sollen verbessert werden. Die Koalitionspartner haben vor, bestehende und eventuell diskriminierende Altersgrenzen zu überprüfen.
b) Frauen und Gleichbehandlung
Der Wiedereinstieg am Berufsleben nach der Elternzeit soll erleichtert werden. Hierfür sind Kampagnen der Bundesregierung geplant. Familienfreundliche und flexible Arbeitszeitmodelle und „Sabbaticals“ sollen gefördert werden. Es soll ein Teilelterngeld mit einer Bezugsdauer von 28 Monaten eingeführt werden. Die gleichzeitige Inanspruchnahme von Teilelternzeit soll nicht zu einem Anspruchsverbrauch eines Elternteils führen.
Die Koalitionspartner wollen weiterhin Lohnungleichheiten zwischen den Geschlechtern abschaffen. Zu diesem Zweck soll in der Wirtschaft ein Lohntestverfahren eingeführt werden. Ausserdem soll der Anteil von Frauen in Führungspositionen erhöht werden. Hierfür soll ein Stufenplan mit dem Ziel der Erhöhung des Anteils von Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten erstellt werden.
c) Fachkräfte aus dem Ausland
Der Zugang zu dem deutschen Arbeitsmarkt für ausländische hochqualifizierte Fachkräfte soll durch den Bürokratieabbau erleichtert werden. Damit soll der zukünftige Fachkräftemangel bekämpft und Schwarzarbeit eingedämmt werden.
B. Sozialversicherung
1. Arbeitslosenversicherung SGB III
Leitprinzip der Arbeitslosenversicherung bleibt der Grundsatz des „Förderns und Forderns“. Die Stabilisierung des Beitrages in der Arbeitslosenversicherung wird angestrebt.
Die Aufgaben und Strukturen der Bundesagentur für Arbeit werden einer Aufgabenkritik unterzogen. Eine effizientere Arbeitsvermittlung wird beabsichtigt: Die Arbeitsmarktinstrumente sollen im Hinblick auf ihre Effizienz überprüft und ihre Zahl deutlich reduziert werden. Den örtlichen Agenturen für Arbeit soll mehr Ermessensspielraum eingeräumt werden, begleitet aber durch eine intensivere Fachaufsicht, damit sollen regionale Besonderheiten bei der Vermittlung besser berücksichtigt werden. Vermittlungsgutscheine ab Beginn der Arbeitslosigkeit oder geförderte Beschäftigung, wie bspw. die „Bürgerarbeit“, sollen erprobt werden.
2. Grundsicherung für Arbeitsuchende SGB II
a) Erhöhung der Zuverdienstgrenzen
Die Koalitionspartner planen die Erhöhung der Zuverdienstgrenzen der Arbeitslosengeld II-Empfänger. Damit soll der Anreiz zur Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gestärkt werden. Konkrete Vorschläge über die neuen Zuverdienstgrenzen enthält der Koalitionsvertrag jedoch nicht.
b) Erhöhung des Schonvermögens
Der Freibetrag zur Altersvorsorge soll von derzeit 250 Euro auf 750 Euro pro Lebensjahr erhöht werden. Voraussetzung dafür, dass dieses Vermögen anrechnungsfrei bleibt soll werden, dass es erst nach Eintritt in den Ruhestand verfügbar ist. Auf diese Weise sollen diejenigen Bürger besser gestellt werden, die in Zeiten der Erwerbstätigkeit gespart und für das Alter vorgesorgt haben. Diese Freibetragsregelung erfassst nicht Ersparnisse für eine Riester-Rente, die schon bei der gegeben Rechtslage vom Arbeitslosengeld II anrechnungsfrei bleibt.
Zudem sollen selbst genutzte Immobilien vor dem Zugriff der Leistungsträger stärker als vorher geschützt werden.
c) Neuorganisation des Leistungsträgers im SGB II
Die Neuorganisation des Leistungsträgers (Bundesagentur für Arbeit, Länder, Kommunen) soll nach dem Willen der Koalitionspartner ohne Änderung des Grundgesetzes oder der Finanzbeziehungen erfolgen. Die Koalitionspartner wollen eine getrennte Aufgabewahrnehmung für die Betreuung der Leistungsempfänger der Grundsicherung. Die Zusammenarbeit zwischen der Bundesagentur für Arbeit und die kommunalen Träger soll vielmehr auf der Grundlage der Freiwilligkeit erfolgen. Hierfür soll das BMAS einen Mustervertrag erarbeiten, der die Selbstverwaltung der Kommunen hinreichend in Rechnung trägt. Die bestehenden Optionskommunen sollen unbefristet erhalten bleiben.
d) Pauschalierung der Leistungen
Zum Zwecke der Minderung der Gerichtsprozesse im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende erwägen die Koalitionspartner, die Leistungen für Unterkunft und Heizung rechtssicher zu pauschalieren. Die Pauschalierung soll die regionalen Besonderheiten berücksichtigen.
3. Wohn-, Kindergeld- und Bürgergeld
Die Ermittlung des Anspruches auf Wohngeld soll vereinfacht und mit anderen sozialrechtlichen Leistungen besser abgestimmt werden. Überprüft wird auch die Auszahlung des Kindergeldes durch die Familienkassen. Die Koalitionspartner erwägen die Bündelung aller steuerfinanzierten Sozialleistungen in einem bedarfsorientierten Bürgergeld, damit konkurrierende Leistungen rationaler gestaltet werden.
4. Unfallversicherung
Bei der gesetzlichen Unfallversicherung planen die Koalitionspartner die Überprüfung des Leistungskatalogs, die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der gewerblichen Berufsgenossenschaften und den Bürokratieabbau.. Das Risiko der Erwerbsminderung soll besser abgesichert werden. Es wird überprüft, wie dieses Risiko kostenneutral durch die staatlich geförderte Vorsorge gedeckt werden kann.
5. Rentenversicherung
Die Kinderziehung und familienpolitische Komponenten sollen besser in der Alterssicherung berücksichtigt werden. Die staatlich geförderte kapitalgedeckte Altersvorsorge soll ausgebaut werden um weiteren Personenkreisen, etwa. auch Selbständigen, Zugangsanreize zu geben..
Zur Bekämpfung von Altersarmut soll private und betriebliche Altersvorsorge für alle Beschäftigten möglich sein, selbst für Geringverdiener. Beschäftigten, die lebenslang vollzeitig gearbeitet und vorgesorgt haben, soll eine armutsfeste Rente oberhalb der Grundsicherung sichergestellt werden.
Das Rentensystem zwischen West und Ost soll vereinheitlicht werden.
6. Pflegeversicherung
Das heutige umlagefinanzierte System soll durch eine Kapitaldeckung ergänzt werden, indem jeder Versicherte zusätzlich eine Kapitalreserve durch Pflichtbeiträge bilden soll. Auf diese Weise soll langfristig und generationsgerecht die Finanzierung der Pflegeversicherung sichergestellt werden.
Die Koalitionspartner wollen Maßnahmen treffen, damit Beschäftigte die Pflege von Angehörigen mit dem Beruf besser in Einklang bringen können.
Pflegeberufe sollen attraktiver gestaltet werden und auch ausländischen Kräften leichter zugänglich sein.