Pflegezeit

Die Überalterung der Gesellschaft wirft ihre Schatten voraus. Der Zeitaufwand für die Pflege naher Angehöriger kann mit der Arbeitszeit kollidieren. Daran hat der Gesetzgeber gedacht und mit dem Pflegezeitgesetz vom 28.05.2008 das Arbeitsverhältnis mit neuen Regelungen belastet. Der Arbeitgeber soll das Risiko familiärer Verpflichtungen des Arbeitnehmers wegen eines Pflegefalles mittragen. Die kurzzeitige Arbeitsverhinderung wegen eines Akutfalles wurde genauso geregelt wie ein Anspruch auf Arbeitsbefreiung oder auf Teilzeitarbeit und ein Kündigungsverbot für die betroffenen Arbeitnehmer. Der Schutz erfasst „Beschäftigte“ und damit auch arbeitnehmerähnliche freie Mitarbeiter. Dieses Pflegezeitrecht lässt sich nicht in Arbeitsverträgen abbedingen. Arbeitgeber wie Arbeitnehmer sollten sich auf kommende Probleme bei familiären Pflegefällen rechtzeitig einstellen.

akuter Pflegefall

Bei akut auftretenden Pflegesituationen hat der Arbeitnehmer das Recht, bis zu zehn Tage lang von der Arbeit fernzubleiben. Wie bei eigener Krankheit muss er das dem Arbeitgeber zwar sofort mitteilen, aber nur auf dessen Verlangen muss er dem Arbeitgeber die Pflegebedürftigkeit nachweisen, indem er eine ärztliche Bescheinigung über den Akutfall und über die Dauer dieser Pflegebedürftigkeit (von bis zu bis zu zehn Tagen) vorlegt. Der Arbeitgeber ist in der Regel zur Fortzahlung der Vergütung verpflichtet, wenn sich Nichts anderes dazu im Arbeitsvertrag findet oder Altverträge nicht ergänzt wurden. Es gibt nämlich eine gesetzliche Norm im Bürgerlichen Gesetzbuch, die für die Fälle vorübergehender Verhinderung des Arbeitnehmers die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers vorsieht (§ 616 BGB). Allerdings ist diese Norm dispositiv; sie kann also in Verträgen wieder ausgeschlossen werden. Wer das tun möchte, hier ein Vorschlag: „Auf das Arbeitsverhältnis findet § 616 BGB keine Anwendung. Mit Ausnahme persönlicher Krankheit werden Lohnzahlungen wegen kurzzeitiger Nichterbringung der Arbeitsleistung aus anderen persönlichen Gründen nicht geleistet. Dies umfasst auf jeden Fall die kurzzeitige Nichtleistung aufgrund häuslicher Pflege und Kinderbetreuungspflichten.“

Freistellung bei Langzeitpflege

Schwieriger werden Arbeitsverhältnisse, wenn der Pflegeaufwand in der Familie länger dauert und der Arbeitgeber regelmässig mehr als 15 Beschäftigte hat. Kleinstbetriebe betrifft das Folgende über die Langzeitpflege also nicht. Wird nun ein naher Angehöriger pflegebedürftig, das sind immerhin Grosseltern, Eltern, Schwiegereltern, Ehegatten, Lebenspartner, Partner eine eheähnlichen Gemeinschaft, Geschwister, eigene Kinder, Adoptiv- oder Pflegekinder, die eigenen Kinder, Adoptiv- oder Pflegekinder des Ehegatten oder Lebenspartners, Schwiegerkinder und Enkelkinder, kann der Arbeitnehmer verlangen, ganz oder teilweise von der Arbeit freigestellt zu werden. Er muss es lediglich zehn Arbeitstage vor dem Beginn seiner Pflegezeit schriftlich ankündigen, für welchen Zeitraum und in welchem Umfang er die Arbeitsbefreiung beansprucht. Wenn er nur Teilzeitarbeit in Anspruch nehmen will, soll er auch die gewünschte Verteilung der Arbeitszeit angeben. Widersprechen kann der Arbeitgeber dem Verteilungswunsch des Arbeitnehmers nur aus dringenden betrieblichen Gründen, aber nicht dem Teilzeitanspruch an sich. Nachweisen muss der Beschäftigte den häuslichen Pflegebedarf für seinen nahen Angehörigen durch Vorlage einer Bescheinigung von dessen Pflegekasse oder des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen; für die privat Versicherten gelten ähnliche Formulare. In den Fällen der Langzeitpflege entfällt die Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers. Der pflegebedürftige Angehörige kann statt der Sachleistung durch einen ambulanten Pflegedienst wegen seiner Angehörigenpflege einen Antrag auf Pflegegeld bei der zuständigen Pflegeversicherung stellen, muss dieses aber nicht zwingend an seine pflegenden Verwandten auszahlen.

Dauer der Freistellung

Der Anspruch des Beschäftigten auf die Pflegezeit wird vom Gesetz  zwar auf sechs Monate je pflegebedürftigen Angehörigen begrenzt. Hat sich der Freigestellte jedoch über die Dauer des erforderlichen Zeitaufwandes anfänglich geirrt und zu kurz gegriffen, weil seine Ablösung aus wichtigen Gründen plötzlich persönlich verhindert ist, hat er gegen den Arbeitgeber wieder einen durchsetzbaren Anspruch auf Verlängerung auf bis zu sechs Monaten Dauer. Wenn der nahe Angehörige stirbt oder doch stationär aufgenommen werden muss oder wegen Trennung oder Ehescheidung den Angehörigenstatus verliert, endet die Freistellung erst vier Wochen später. Der Arbeitgeber muss von dem Ereignis allerdings sofort informiert werden. Jeder sonstigen Verkürzung oder sonstigen Verlängerung der Pflegezeit auf die absoluten sechs Monate muss der Arbeitgeber zustimmen.

befristete Ersatzarbeitsverhältnisse

Ausnahmsweise darf der Arbeitgeber für die Dauer der Pflegezeit eines Stammbeschäftigten einen Arbeitnehmer zuzüglich der erforderlichen Einarbeitungszeit befristet einstellen, sofern ein solches kurzfristiges Arbeitsverhältnis für Arbeitgeber überhaupt Sinn macht und auf dem Arbeitsmarkt anbietbar wäre. In diesem befristeten Ersatzarbeitsvertragmuss der Vertretungsgrund -Pflegezeit eines anderen- genau angegeben werden, falls die Befristung nicht analog der Pflegezeit genau kalendermässig bestimmt wird. Die Gefahr ist hier wie bei allen befristeten Arbeitsverträgen, dass eine fehlerhafte Befristungsnorm oder ein richterlich nicht nachvollziehbarer Bezug auf einen freigestellten Beschäftigten dazu führt, dass der Arbeitsvertrag unbefristet wird. Es wäre eine Arbeitskraft mehr auf der Lohnliste. Vor dem Angebot eines solchen befristeten Arbeitsvertrages sollte deswegen unbedingt Beratung eines Fachanwaltes für Arbeitsrecht eingeholt werden.

Kündigungsverbot

Besonders wichtig ist für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, dass dem Beschäftigten schon von dem Zeitpunkt an nicht mehr gekündigt werden darf, in dem er den Anspruch auf Pflegezeit angekündigt hat. Dieses Kündigungsverbot reicht bis zum Ende der Pflegezeit, sei es nur für die kurzzeitige Akutpflege von zehn Tagen oder für die Langzeitpflege von bis zu sechs Monaten in den etwas grösseren Unternehmen. Wie beim Mutterschutz sind Ausnahmen nur mit behördlicher Genehmigung der jeweiligen Landesbehörde für Arbeitsschutz möglich; der Arbeitgeber müsste also erst ein Genehmigungsverfahren einleiten und abwarten. Bei der Kurzzeitpflege in den Akutfällen macht ein solches Verfahren keinen Sinn, denn es würde länger dauern als die Freistellung selbst. Realistischerweise ist von einem Behördenweg von mindestens sechs Wochen Dauer ab Antragstellung auszugehen.

Unter Juristen streitig ist es zur Zeit noch, wie lang eigentlich der Ankündigungszeitraum sein darf, während dem der Kündigungsschutz der Beschäftigten schon beginnt. Angehörige in dem vom Gesetz sehr weit gesteckten Rahmen haben fast alle und in kritischen Konjunkturlagen könnte man als Arbeitnehmer auch mal vorbeugend nachschauen, ob nicht ein häuslicher Pflegefall dabei ist. Sprechen die Angehörigen nun über einen längeren Zeitraum ihre Pflegezeiten ab und kündigen sie unter Nachweis der Pflegebescheinigung ihren Arbeitgebern ihre persönliche Einsatzperiode an, hätten alle abgestuft Kündigungsschutz, solange der Pflegling nicht stationär aufgenommen werden muss oder stirbt. Ein häuslicher Pflegefall reicht für eine grosse Familie und der nächste Pflegefall erlaubt dasselbe noch einmal. Missbrauch wird von keinem der betroffenen Arbeitgeber überzeugend nachzuweisen sein. Hier die Grenze bei der Ankündigungsfrist zu ziehen, wird eine zukünftige Aufgabe der Rechtsprechung.