Europa: Personelle Erweiterung des Kündigungsschutzes

Auch Geschäftsführer und Praktikanten können Arbeitnehmer i.S.d. EU-Massenentlassungsrichtlinie sein.

Der Fall: 

Ein angestellter Techniker war seit April 2011 für eine GmbH tätig, die unstreitig zusammen mit ihm mindestens 19 Arbeitnehmer beschäftigte. Zum 15.2.2013 kündigte die Gesellschaft sämtliche Arbeitsverhältnisse aus dringenden betrieblichen Gründen und stellte ihren in Verlust geratenen Geschäftsbetrieb ein. Bei Massenentlassungen ist die vorherige Anzeige des Arbeitgebers bei der Agentur für Arbeit Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung. Der Schwellenwert liegt bei 20 Arbeitnehmern, wenn mehr als fünf entlassen werden sollen.

Mit seiner Kündigungsschutzklage am Arbeitsgericht Verden machte der Techniker geltend, dass seine Kündigung wegen unterbliebener Massenentlassungsanzeige unwirksam sei. Der Schwellenwert von 20 Arbeitnehmern würde überschritten, weil insoweit auch der GmbH-Geschäftsführer  und eine Praktikantin zu berücksichtigen seien.

Der Geschäftsführer hielt keine Geschäftsanteile an der Gesellschaft und war zu deren Vertretung nur gemeinschaftlich mit einem anderen Geschäftsführer berechtigt. Die Praktikantin durchlief eine Umschulungsmaßnahme zur Bürokauffrau, die vom Jobcenter gefördert wurde. Die Förderung, deren Höhe sich über die gesamte Ausbildungsvergütung erstreckte, wurde der Praktikantin unmittelbar von der Bundesagentur für Arbeit gezahlt.

Das Arbeitsgericht Verden setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH die Fragen zur Vorabentscheidung vor, ob der Geschäftsführer und diePraktikanten Arbeitnehmer im Sinne der Richtlinie EU-Massenentlassungsrichtlinie sind. Der EuGH bejahte dies.

Die Entscheidung:

Für die Frage, ob in einem Betrieb bei Kündigungen der Schwellenwert für eine bei der Agentur für Arbeit anzeigepflichtige Massenentlassung überschritten wird, können auch Geschäftsführer und Praktikanten zu berücksichtigen sein. Geschäftsführer -wie vorliegend- und Praktikanten -wie vorliegend- sind Arbeitnehmer im Sinne der Richtlinie.

Dabei ist es unerheblich, ob diese nach nationalem Recht als Arbeitnehmer gelten, da der Arbeitnehmerbegriff innerhalb der Unionsrechtsordnung autonom und einheitlich ausgelegt werden muss. Anderenfalls stünden die Berechnungsmodalitäten für diese Schwellenwerte, also die Schwellenwerte einer EU-Richtlinie selbst, ungewollt zur Disposition der Mitgliedstaaten.

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist der Begriff des „Arbeitnehmers“ anhand objektiver Kriterien zu definieren, die das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf die Rechte und Pflichten der Betroffenen kennzeichnen. Maßgeblich ist insoweit, ob eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält.

Nach dieser Definition sind Geschäftsführer wie in diesem Fall Arbeitnehmer. Allein der Umstand, dass sie Mitglied des Leitungsorgans einer Kapitalgesellschaft sind, schließt ein Unterordnungsverhältnis gegenüber der Gesellschaft nicht aus. Zu berücksichtigen ist auch, wenn der Geschäftsführer jederzeit gegen seinen Willen abberufen werden kann, er bei Ausübung seiner Tätigkeit der Weisung und Aufsicht des Organs und weiteren Vorgaben und Beschränkungen unterliegt. Seine Stellung werde zudem dadurch geschwächt, wenn er keine eigenen Anteile an der Gesellschaft besitzt.

Im Übrigen sei der Arbeitnehmer-Begriff in der Massenentlassungsrichtlinie nach ihrem Ziel, den Schutz der Arbeitnehmer bei Massenentlassungen zu verstärken, nicht eng auszulegen. Diese Erwägung führe auch bei Praktikanten wie in diesem Fall dazu, diese als Arbeitnehmer i.S.d. Richtlinie anzusehen.

Kommentar:

Das Arbeitsgericht Verden wird die Kündigung als unwirksam beurteilen müssen.

 

EuGH  9. Juli 2015  C-229/14

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