Urlaub in bar vererblich
Erben aufgepasst!
Der Fall:
Herr B. war vom 01.08.1998 bis zu seinem Tod am 19.11.2010 bei dem Unternehmen K+K beschäftigt. Von 2009 bis zu seinem Tod war er aufgrund einer schweren Erkrankung mit Unterbrechungen arbeitsunfähig. Bis er starb hatte er 140,5 Tage offenen Jahresurlaub angesammelt. Die Witwe von Herrn B. forderte von K+K eine Abgeltung für den von ihrem Ehegatten nicht genommenen Jahresurlaub. Das Unternehmen wies die Forderung zurück und äußerte Zweifel an der Vererbbarkeit der Abgeltung.
Die Entscheidung:
Das mit der Sache befasste Landesarbeitsgericht Hamm hatte wegen einer möglichen Kollision des deutschen nationalen Urlaubsrechts mit dem EU-Recht Zweifel.
Nach bisherigem deutschen Arbeitsrecht galt: Mit dem Tod des Arbeitnehmers erlischt dessen höchstpersönliche Leistungspflicht und damit auch sein auf Befreiung von der Arbeitspflicht gerichteter Urlaubsanspruch. Demgegenüber aber werden nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes der Anspruch auf Jahresurlaub zum einen und die Zahlung des Urlaubsentgelts zum anderen unter unterschiedlichen Gesichtspunkten behandelt.
Das Landesarbeitsgericht Hamm fragte in Luxemburg nach.
- Dem Europäischen Gerichtshof wurde zum einen die Frage vorgelegt, ob der mit dem Tod des Arbeitnehmers eintretende Untergang der einen Komponente des Urlaubsanspruchs, nämlich der Freistellung, den Untergang des Zahlungsanspruchs mit sich zieht.
- Zum anderen wurde der EuGH gefragt, ob der Anspruch auf Urlaubsabgeltung so an die Person des Arbeitnehmers gebunden ist, dass dies einer Beurteilung als reiner Geldforderung entgegensteht.
- Oder gestattet das Unionsrecht nationale Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten, wonach im Fall des Todes des Arbeitnehmers der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ohne Abgeltungsanspruch für nicht genommenen Urlaub untergeht?
- Ferner wollte man wissen, ob eine solche Abgeltung von einem vorherigen Urlaubsantrag des Betroffenen abhängt.
Die einschlägige EU-Richtlinie über die Arbeitszeitgestaltung (Richtlinie 2003/88/EG) sieht vor, dass jeder Arbeitnehmer Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen hat und dass dieser Urlaub außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden darf.
Es wurde nunmehr europaweit entschieden, dass der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub mit seinem Tod nicht untergeht.
Das Unionsrecht steht nach Auffassung des EuGH nationalen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegen, die für den Fall des Todes des Arbeitnehmers die Abgeltung für nicht genommenen Jahresurlaub ausschließen. Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub sei ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts in Europa und die Ansprüche auf Jahresurlaub und auf Bezahlung während des Urlaubs stellten zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs dar.
Das Unionsrecht stehe in bisheriger Rechtsprechung beispielsweise auch einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegen, nach denen dem Arbeitnehmer am Ende des Arbeitsverhältnisses keine finanzielle Vergütung geschuldet wird, obwohl er krankheitsbedingt nicht in den Genuss seines bezahlten Jahresurlaubs kommen konnte.
Der Begriff des bezahlten Jahresurlaubs bedeute, dass für die Dauer des Jahresurlaubs das Entgelt des Arbeitnehmers fortzuzahlen ist. Ein finanzieller Ausgleich im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Tod des Arbeitnehmers stelle die praktische Wirksamkeit des Urlaubsanspruchs sicher. Der unwägbare Eintritt des Todes des Arbeitnehmers dürfe nicht rückwirkend zum vollständigen Verlust des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub führen.
Außerdem hänge diese Abgeltung nicht davon ab, dass der Betroffene im Vorfeld einen Urlaubsantrag gestellt hat.