Mindestkündigungsschutz wegen Alters

In Kleinbetrieben unter zehn Arbeitnehmern gibt es keinen allgemeinen Kündigungsschutz. Kündigungen können aber wegen Altersdiskriminierung unwirksam sein. 

Der Fall:

Eine 1950 geborene Arzthelferin war seit dem 16. Dezember 1991 in einer Gemeinschaftspraxis beschäftigt, zuletzt überwiegend im Labor. In der Praxis waren ansonsten im Jahr 2013 noch vier jüngere und später eingestellte Arzthelferinnen tätig. Die Ärzte kündigten das Arbeitsverhältnis der Älteren fristgerecht wegen Veränderungen im Laborbereich, welche eine Umstrukturierung der Praxis erforderten. Dabei führten sie im Kündigungsschreiben an, die Betroffene sei „inzwischen pensionsberechtigt“. Den anderen Beschäftigten wurde nicht gekündigt.

Mit ihrer Klage wandte sich die Ältere gegen die Wirksamkeit der Kündigung und verlangte eine Entschädigung wegen Altersdiskriminierung. Das Kündigungsschreiben lasse eine Benachteiligung wegen ihres Alters vermuten.

Nach Darstellung der Arbeitgeber hingegen sollte die Kündigung lediglich freundlich und verbindlich formuliert werden. Die Kündigung sei wegen eines zu erwartenden Entfalls von 70 bis 80 % der abrechenbaren Laborleistungen erfolgt. Die älteste sei mit den übrigen Arzthelferinnen nicht vergleichbar, weil sie schlechter qualifiziert sei. Nur deshalb sei ihr gekündigt worden.

Die Entscheidung:

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht folgten dem Höflichkeitsargument der Ärzte und haben die Klage der Arzthelferin abgewiesen. Ihre Revision hatte aber vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Diese Kündigung verstieß nach Ansicht der Bundesrichter gegen das Benachteiligungsverbot des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und ist deshalb unwirksam. Wäre nämlich bei einer Kündigung gegenüber einer Arbeitnehmerin aufgrund von ihr vorgetragener Indizien eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Lebensalters zu vermuten und gelingt es dem Arbeitgeber nicht, diese Vermutung zu widerlegen, ist die Kündigung auch im Kleinbetrieb unwirksam. Die Ärzte hätten im konkreten Fall keinen ausreichenden Beweis dafür angeboten, dass die wegen der „Pensionsberechtigung“ zu vermutende Altersdiskriminierung nicht vorliegt.

Die Sache wurde insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, das nun nur noch über die Höhe der Entschädigung befinden muss.

Kommentar:

Die Entscheidung hat für alle Arbeitsverhältnisse Relevanz, besonders auch in Kleinbetrieben unter zehn Arbeitnehmern. Arbeitgeber sollten Kündigungsschreiben schnörkellos und sachbezogen formulieren. Arbeitnehmer sollten wissen, dass es Kündigungsverbote (Beispiel: Mutterschutz) und einen gewissen Elementarkündigungsschutz auch in Kleinbetrieben gibt. 

 

Bundesarbeitsgericht Urteil vom 23. Juli 2015 – 6 AZR 457/14 – Vorinstanz: Sächsisches Landesarbeitsgericht Urteil vom 9. Mai 2014 – 3 Sa 695/13 –

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