Viel zu dick = behindert?

Diskriminierungsschutz auch für zu dicke Arbeitnehmer?

 

Der Fall:

Herr Kaltoft hatte 15 Jahre lang für die Gemeinde Billund in Dänemark als Tagesvater Heimkinder betreut. Am 22. November 2010 wurde seine Beschäftigung beendet. Die Kündigung wurde mit dem Rückgang der Zahl der zu betreuenden Kinder begründet, doch wurde kein ausdrücklicher Grund dafür genannt, dass gerade er entlassen wurde. Während der Dauer seiner Beschäftigung wog der Arbeitnehmer nie weniger als 160 kg und mit einem BMI von 54 war er medizinisch als adipös einzustufen. Die Gemeinde bestreitet, dass die Adipositas die Entscheidungsgrundlage für die Kündigung war, obwohl bei der offiziellen Anhörung anlässlich der Kündigung die Fettleibigkeit erörtert wurde.

Die Entscheidung:

Der Arbeitnehmer machte vor der dänischen Arbeitsgerichtsbarkeit geltend, seine Entlassung beruhe auf einer rechtswidrigen Diskriminierung wegen seines Gewichts. Das Gericht in Kolding hat den europäischen Gerichtshof um Klarstellung ersucht, ob das Unionsrecht ein eigenständiges Verbot der Diskriminierungen wegen Fettleibigkeit enthält. Ferner fragte es an, ob Adipositas nach dem Europarecht als Behinderung eingestuft werden kann.

Der Generalanwalt kommt in dem Verfahren am Europäischen Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass es im Unionsrecht kein allgemeines, eigenständiges Verbot von Diskriminierungen wegen Adipositas gibt. Fettleibigkeit könne aber dann als Behinderung angesehen werden, wenn sie ein solches Maß erreicht hat, dass sie offenkundig ein Hindernis für die Teilhabe am Berufsleben darstellt. Seiner Auffassung nach kann eine schwere, extreme oder morbide Adipositas, d.h. ein BMI von über 40, zu Einschränkungen wie Problemen bei Mobilität, Belastbarkeit und Stimmung führen, die eine Behinderung im Sinne der europäischen Richtlinie zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf wäre.

Nach der Auffassung des Generalanwaltes kommt es nicht darauf an, ob der Fettleibige seine Behinderung selbst herbeigeführt hat und verhindern konnte. Der Begriff der Behinderung ist objektiver Art. Andernfalls würde Behinderten infolge eines leichtfertigen Eingehens von Risiken im Sport ebenfalls der Schutz entzogen.

Kommentar:

In der Regel folgt der europäische Gerichtshof den Schlussanträgen des Generalanwaltes. Seine Auffassung zugrunde gelegt, hätte dieses auch für das deutsche Arbeitsrecht Auswirkungen. Nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz besteht ein Benachteiligungsverbot für Behinderte, dann also auch für Adipöse. Im übrigen könnten so erheblich Dicke unter das Schwerbehindertengesetz fallen und in den Genuss der Fürsorge  für Behinderte kommen, besondere Verpflichtungen des Arbeitgebers auslösen und den besonderen Kündigungsschutz für Behinderte genießen.

 

Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofs vom 17. Juli 2014

Ähnliche Beiträge

Ansprüche wegen „Mobbing“

Publiziert am unter ,

Erstmals hat sich das Bundesarbeitsgericht mit Schadensersatzansprüchen wegen sogenannten „mobbings“ befasst. Der 8. Senat des Gerichts hat die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und den Rechtsstreit wieder an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, weil beide Instanzen in ungerechtfertigter Weise einen Schadensersatzanspruch wegen „mobbings“ verneint hatten. Zutreffend wird „mobbing“ eigentlich von den Arbeitsrechtlern sehr vorsichtig, besser: eher skeptisch, behandelt.Weiterlesen

AGG-Entwarnung

Publiziert am unter ,

Die Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) am 18.08.2006 wurde überwiegend kritisch betrachtet. Der Bundestag musste verschiedene Gleichbehandlungsrichtlinien der EG in nationales Recht umsetzen. Das neue Antidiskriminierungsrecht wurde zumeist als aufgesetzt und übertrieben empfunden. Vor allem wurde eine Prozesslawine angeblicher Diskriminierungsopfer befürchtet. Nun liegen erste aussagefähige Zahlen vor.Weiterlesen