Stichtagsklauseln für Gratifikationen

Rückzahlungsklauseln und Stichtagsklauseln für Gratifikationen kann man auslegen. Zahlungen für zukünftige Betriebstreue können nach einer Kündigung in bedingten Maßen zurückgefordert werden. Überwiegt aber der Lohncharakter, sei es nur in Mischformen, verbleibt die Gratifikation trotz seiner Kündigung dem Arbeitnehmer.

Der Fall:

Im Arbeitsvertrag eines Controllers eines Verlages befand sich u.a. folgende Regelung unter § 3 (Bezüge) :

Die Zahlung von Gratifikationen und sonstigen Leistungen liegt im freien Ermessen des Verlages und begründet keinen Rechtsanspruch, auch wenn die Zahlung wiederholt ohne ausdrücklichen Vorbehalt der Freiwilligkeit erfolgte. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Zahlung durch gültigen Tarifvertrag„2.  geregelt ist.“

Er erhielt jährlich mit dem Novembergehalt eine jeweils als Gratifikation, ab dem Jahr 2007 zusätzlich auch als Weihnachtsgratifikation bezeichnete, Sonderzahlung in Höhe des jeweiligen Novemberentgelts. Hierzu übersandte der Verlag jeweils im Oktober oder November ein Schreiben an alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, in dem die Firma stets nach einem Rückblick auf das zu Ende gehende Jahr und dem Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die „Richtlinien“ der Auszahlung aufführte, die im Wesentlichen unverändert blieben. Im Schreiben vom 30. September 2010 lauteten diese „Richtlinien“ wie folgt:

1. „Die Zahlung erfolgt an Verlagsangehörige, die sich am 31.12.2010 in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis befinden.

2. Die Gratifikation beträgt 100% des November-Bruttogehaltes/-lohnes bzw. der Ausbildungsvergütung, wenn das Arbeitsverhältnis seit 01.01.2010 besteht und keine unbezahlten Arbeitsbefreiungen zu verzeichnen sind. Bei Arbeitszeitveränderungen im Laufe des Jahres errechnet sich die Gratifikation anteilig.

3. Verlagsangehörige, die nach dem 01.01.2010 eingetreten sind oder eine unbezahlte Arbeitsbefreiung aufweisen, erhalten für jeden Kalendermonat des bestehenden Arbeitsverhältnisses bzw. der bezahlten Arbeitsleistung 1/12 des Bruttomonatsgehaltes/-lohnes.

Dabei wird ein angefangener Monat als voller Monat gerechnet, wenn die Betriebszugehörigkeit/bezahlte Arbeitsleistung 15 Kalendertage übersteigt. Auszubildende erhalten in jedem Fall 100% der Ausbildungsvergütung.

4. Tariflich zu zahlende Jahresleistungen werden auf diese Zahlungen angerechnet.“

Darüber hinaus wies der Verlag in dem Schreiben „ausdrücklich darauf hin, dass die Zahlung der Weihnachtsgratifikation eine freiwillige, jederzeit widerrufliche Leistung des Verlages“ sei, auf die auch durch wiederholte Zahlung kein Rechtsanspruch bestehe.

Der Controller kündigte zum 30. September 2010. Er forderte eine anteilige (9/12) Zahlung der Sonderleistung 2010.

Die Entscheidung:

Das Arbeitsgericht Frankfurt und das Hessische Landesarbeitsgericht haben seine Klage abgewiesen. Es sei dem Arbeitgeber nicht schlechthin versagt, Sonderzahlungen mit Bindungsklauseln zu versehen , solange die Zahlungen nicht ausschließlich Gegenleistung für schon erbrachte Arbeit sind. Das gilt sowohl für Klauseln, in denen sich der Arbeitnehmer verpflichtet, erfolgte Sonderzahlungen zurückzuerstatten, wenn er vor einem bestimmten Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis von sich aus kündigt (Rückzahlungsklauseln), als auch für Regelungen, nach denen die Leistung der Sonderzahlung voraussetzt, dass der Arbeitnehmer zu einem bestimmten Zeitpunkt noch im Arbeitsverhältnis steht (Bestandsklauseln, Stichtagsklauseln). Allerdings dürfen derartige Klauseln den Arbeitnehmer nicht unangemessen benachteiligen. Insbesondere dürfen sie den Arbeitnehmer nicht in unzulässiger Weise in seiner Berufsfreiheit behindern. Eine solche unzulässige Behinderung wurde bisher stets in dem Fall verneint, dass der Stichtag im Geschäftsjahr liegt. Eine Stichtagsregelung, bei der der Tag, an dem das Arbeitsverhältnis zum Erhalt der Gratifikation bestehen muss, mit dem 31. Dezember noch innerhalb des Bezugszeitraums der Gratifikation liegt, der mit dem Kalenderjahr identisch ist, ist wirksam.

Anders sieht es das Bundesarbeitsgericht: Auf die Revision des Controllers hat der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts den Verlag zur Zahlung verurteilt. Er legt den Vertrag aus und hält die Regelungen wegen der Weihnachtsgratifikation für Regelungen mit Mischcharakter. Der Zweifel gehe zu Lasten des Arbeitgebers, ob nur für zukünftige Betriebstreue gezahlt werde oder der Lohncharakter für bisherige Arbeit überwiege. Die Sonderzahlung soll nach den Richtlinien einerseits den Arbeitnehmer über das Jahresende hinaus an das Unternehmen binden und damit die Betriebstreue belohnen, dient aber zugleich der Vergütung der im Laufe des Jahres geleisteten Arbeit. In derartigen Fällen seien Stichtagsregelungen wie die in den Richtlinien vereinbarte unwirksam. Die Klausel benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen, weil sie ihm bereits erarbeiteten Lohn entzieht. Der Vergütungsanspruch wurde nach den Richtlinien monatlich anteilig erworben. Anhaltspunkte dafür, dass die Sonderzahlung Gegenleistung vornehmlich für Zeiten nach dem Ausscheiden des Klägers oder für besondere – vom Kläger nicht erbrachte – Arbeitsleistungen sein sollte, sind nicht ersichtlich.

BundesarbeitsgerichtUrteil vom 13. November 2013 – 10 AZR 848/12 –

 

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