Vorfahrt für schwerbehinderte Bewerber
Bei Stellenausschreibungen muss stets die Eignung des Arbeitsplatzes für schwerbehinderte Menschen geprüft worden sein.
Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, zuerst zu prüfen, ob sie freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzen können. Um auch arbeitslose oder arbeitssuchend gemeldete schwerbehinderte Menschen zu berücksichtigen, müssen sie frühzeitig Verbindung mit der Agentur für Arbeit aufnehmen. Ein abgelehnter schwerbehinderter Bewerber kann sich darauf berufen, dass die Verletzung dieser Pflicht seine Benachteiligung wegen der Behinderung vermuten lasse.
Der Fall:
Der mit einem Grad von 60 schwerbehinderte Bewerber hatte eine kaufmännische Berufsausbildung, ein Fachhochschulstudium der Betriebswirtschaft und die Ausbildung zum gehobenen Verwaltungsdienst absolviert. Er bewarb sich bei einer Gemeinde auf eine ausgeschriebene Stelle für eine Mutterschaftsvertretung in den Bereichen Personalwesen, Bauleitplanung, Liegenschaften und Ordnungsamt. Die Gemeinde besetzte die Stelle anderweitig, ohne zuvor zu prüfen, ob der freie Arbeitsplatz mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann oder diesbezüglich Kontakt zur Agentur für Arbeit aufgenommen zu haben. Das war unstreitig. Der schwerbehinderte Bewerber verlangte daraufhin eine Entschädigung in Höhe von mindestens 6.685,85 €, da er sich wegen seiner Behinderung benachteiligt sah.
Während die Vorinstanzen die Klage abgewiesen hatten, war die Revision des Klägers vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts im Grundsatz erfolgreich. Die Prüfpflicht zur Berücksichtigung schwerbehinderter Menschen bei der Besetzung freier Stellen besteht nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts immer und für alle Arbeitgeber und unabhängig davon, ob sich ein schwerbehinderter Mensch beworben hat oder ob er bei seiner Bewerbung diesen Status offenbart hat. Verletzt ein Arbeitgeber diese Prüfpflicht, so stellt dies ein Indiz dafür dar, dass er einen abgelehnten schwerbehinderten Menschen wegen der Behinderung benachteiligt hat, weil er seine Förderungspflichten unbeachtet gelassen hatte. Da vorliegend der Arbeitgeber die Vermutung einer solchen Benachteiligung nicht widerlegen konnte, war die Sache dem Grunde nach entscheidungsreif. Das Landesarbeitsgericht hat nur noch ergänzend über die Höhe der Entschädigung zu entscheiden.
Unser Kommentar:
Bei jeder Stellenausschreibung muss der Arbeitgeber also zukünftig dokumentieren können, dass er die Eignung des Arbeitsplatzes für schwer behinderte Arbeitnehmer geprüft hat. Oft ist es nicht ganz einfach festzulegen, für welche Arten von Schwerbehinderung sich der Arbeitsplatz eignen würde und welche Schwerbehinderungen man ausschließen muss. Selbst ein arbeitsmedizinisches Gutachten könnte deswegen erforderlich sein. Auf jeden Fall aber muss der Arbeitgeber bei der Agentur für Arbeit stets nachfragen, ob der ausgeschriebene Arbeitsplatz mit arbeitssuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann. Der Besetzungsprozess wird dadurch komplizierter. Andernfalls kann sich der Arbeitgeber schadensersatzpflichtig machen, wenn sich ein schwerbehinderter Mensch auf diesen Arbeitsplatz bewirbt, aber nicht angenommen wird. Ohne Dokumentation einer genauen Überprüfung auf Schwerbehinderteneignung und ohne Dokumentation einer frühzeitigen Verbindung mit der Agentur für Arbeit besteht die Vermutungswirkung, dass die Gleichbehandlungsrechte des schwerbehinderten Bewerbers beeinträchtigt worden sind und das löst Schadensersatzpflichten aus. Personalleiter oder die für das Personal Verantwortlichen sollten stets einen Ablaufplan für Stellenausschreibungen und die damit verbundene Kommunikation mit den Beteiligten (betriebsärztlicher Dienst, evtl. Schwerbehindertenvertretung, evtl. Betriebsrat, Agentur für Arbeit) gespeichert haben.