Kündigung wegen € 1,30 ?
Grosses Aufsehen in der Öffentlichkeit erregte ein Kündigungsschutzverfahren vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg. Eine Kassiererin wurde fristlos gekündigt, weil sie Leergutbons im Wert von € 1,30 unterschlagen haben soll. Vor allem die gleichzeitige Debatte wegen der millionenhohen Boni einzelner Banker trotz der Bankenkrise wirft die Frage nach Gerechtigkeit auf.
Eine 50-jährige Mutter von drei Kindern, war seit mehr als 30 Jahren bei der beklagten Supermarktkette als Kassiererin beschäftigt. Eine andere Mitarbeiterin teilte der Arbeitgeberin mit, dass sie beobachtet habe, wie die Kollegin zwei ihr nicht gehörende Leergutbons im Wert von insgesamt 1,30 Euro aus dem Kassenbüro entnommen habe. Die Supermarktkette kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis fristlos.
Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht Berlin haben die Kündigung der Kassierein für gerechtfertigt erachtet, trotz der geringfügigen Summe. Beide Gerichte berufen sich auf eine schon lange bestehende Rechtsprechung. Kassierer müssen auch schon bei Unterschlagung kleinster Beträge mit einer fristlosen Kündigung rechnen. Insoweit kommt es nicht auf die Höhe des dem Arbeitgeber zugefügten Schadens an, sondern auf den durch eine solche Tat entstehenden irreparablen Vertrauensverlust. Selbst eine langjährige Betriebszugehörigkeit und ein fortgeschrittenes Alter schützen in diesem Fall nicht vor einer fristlosen Kündigung. Die Supermarktkette hat das Arbeitsverhältnis mit der Kassiererin also wirksam fristlos gekündigt. Ihr war selbst eine Weiterbeschäftigung der 50-jährigen Mutter bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist auch unter Berücksichtigung des Alters und der langen Betriebszugehörigkeit nicht zumutbar.
Früher war man in der Rechtsprechung tatsächlich der Ansicht, dass bei einer ausserordentlichen Kündigung wegen Diebstahls oder Unterschlagung geringwertiger Sachen oder Gelder der Verlust des sozialen Besitzstandes des Arbeitnehmers (Dauer des Arbeitsverhältnisses, Alter, Unterhaltspflichten) zu berücksichtigen ist. Das hatte sich mit dem sogenannten „Bienenstichfall“ geändert, als eine Buffetkraft ein Stück Kuchen gegessen hatte, ohne es vorher einzubonen. Es kommt nur auf die Nachhaltigkeit des Missachtens der Vertrauensstellung an.
Nach Ansicht der Arbeitsgerichte reicht bereits der Verdacht einer derartigen Unterschlagung geringer Werte aus, das erforderliche Vertrauensverhältnis zu zerstören. Der Arbeitgeber muss den verdächtigen Arbeitnehmer allerdings genau zu den erhobenen Vorwürfen angehört und alles Erforderliche getan haben, um den Sachverhalt objektiv aufzuklären.
Wie der Tagespresse zu entnehmen war, beabsichtigt der Rechtsanwalt der Kassiererin, gegen das Urteil Beschwerde und auch eine Verfassungsbeschwerde einzulegen. Notfalls ziehe man vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Die Frage der Verhältnismässigkeit von Kündigungen in diesen Fällen bleibt also aktuell.